
Arzneimittel können zu einer gestörten Glucosetoleranz und einem iatrogenen Diabetes mellitus führen. Mit einem geeigneten Diabetesscreening kann diese metabolische Nebenwirkung frühzeitig erkannt werden.
Bei Auftreten einer Glucosetoleranzstörung sollte bei den Ursachen auch an eine unerwünschte Arzneimittelwirkung gedacht werden. Medikamente können über unterschiedliche Mechanismen zu einem Diabetes mellitus führen. Es handelt sich zum Teil um Klasseneffekte, zum Teil um stoffspezifische Besonderheiten (Tabelle).

Antihypertonika
Betablocker und Thiaziddiuretika werden mit einer Glucosetoleranzstörung in Verbindung gebracht (1). Betablocker mindern durch Blockade von Beta-1-Rezeptoren die Auswurfleistung des Herzens. Nicht-selektive Betablocker verringern die durch beta-2-Rezeptoren stimulierte Erweiterung peripherer Blutgefäße. In Summe wird das periphere Gewebe geringer durchblutet und damit die Glucose schlechter von der Muskulatur aufgenommen (1). Somit haben nicht-selektive Betablocker wie Carvedilol und Propranolol wie auch das als Antiarrhythmikum eingesetzte Sotalol ein höheres diabetogenes Potenzial als Beta-1-selektive Betablocker wie Bisoprolol, Metoprolol und Nebivolol. Das absolute Risiko ist aber gering. Hyperglykämie wird in den Fachinformationen Bisoprolol- und Nebivolol-haltiger Präparate nicht einmal als mögliche Nebenwirkung aufgelistet (2, 3).
Thiaziddiuretika wirken diabetogen, indem sie die hepatische Insulinresistenz erhöhen und die Freisetzung von Glucose aus der Leber stimulieren (1). Der blutzuckersteigernde Effekt ist von der Tagesdosis abhängig. In niedriger Thiaziddosis (Beispiel: Hydrochlorothiazid, HCT: 12,5–25mg pro Tag) steht pharmakakologisch die direkte vaskuläre Wirkung im Vordergrund und weniger die diuretische (4). Dadurch ist der kaliuretische Effekt wenig ausgeprägt. Erniedrigte Kaliumwerte fördern durch Hemmung der Insulinsekretion eine Glucosetoleranzstörung. Unter der Voraussetzung normokaliämischer Werte schneiden Thiaziddiuretika selbst bei Patienten mit Diabetes mellitus in Subgruppenanalysen mindestens so gut ab wie andere Antihypertensiva (5). Bei Patienten mit Diabetes mellitus werden Betablocker und Thiaziddiuretika genauso empfohlen wie ACE-Hemmer/Angiotensinrezeptorblocker und Calciumkanalblocker (6).
Broncholytika
Beta-2-Adrenozeptor-Agonisten wie Bambuterol, Clenbuterol und Terbutalin induzieren hyperglykämische Effekte durch Stimulation der über Beta-2-Rezeptoren vermittelten Glykogenolyse in Leber und Muskulatur (7).
Theophyllin verursacht gemäß Fachinformation sehr häufig Hyperglykämien (8). Das Methylxanthin stimuliert dosisabhängig indirekt Beta-2-Rezeptoren durch vermehrte Freisetzung endogener Catecholamine (9).
Beta-2-Adrenozeptor-Agonisten und Theophyllin können die Serum-Kalium-Konzentration senken (8, 10). Durch die Vielfalt der verschiedenen Devices werden bronchiendilatierende Wirkstoffe in der Therapie obstruktiver Atemwegserkrankungen bevorzugt inhaliert. Unter Theophyllin-Therapie ist ein Therapeutisches Drug Monitoring obligat (11). Die Kaliumwerte sind im Normbereich zu halten.
Psychopharmaka/Antikonvulsiva
Depressive und schizophrene Störungen sind mit einem erhöhten Lebenszeitrisiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus assoziiert. Endogene und immunologische Faktoren sowie eine genetische Vulnerabilität neben einer ungesunden Lebensweise tragen unabhängig einer Medikamentenverordnung zu Veränderungen der Glucose-Homöostase bei (12). Übergewicht beziehungsweise Adipositas hängen mit Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels zusammen. Ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2. Die bei adipösen Personen erhöhte Körperfettmasse, insbesondere das viszerale Fett, geht üblicherweise mit einer Insulinresistenz einher. Circa 80Prozent der Diabetes-mellitus-Typ-2-Fälle können auf Adipositas zurückgeführt werden (13). Über die Gewichtszunahme begünstigen Psychopharmaka die klinische Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 2.
Bei Behandlung mit den atypischen Antipsychotika Clozapin und Olanzapin nehmen etwa zehn bis 40Prozent der Patienten deutlich an Gewicht zu (>10Prozent des Ausgangsgewichts). Unter Therapie mit den Atypika Paliperidon, Quetiapin und Risperidon ist die mittlere Gewichtszunahme nach zwei bis drei Monaten 1,5–3,0kg. Von den klassischen Antipsychotika können Substanzen mit Phenothiazin- und Thioxanthen-Struktur das Körpergewicht steigern (14).
Trizyklische Antidepressiva sowie Mianserin und Mirtazapin führen häufig zu einer Gewichtszunahme. Dieses ungünstige Nebenwirkungsprofil sollte bei Depression bei Patienten mit Diabetes nur in Kauf genommen werden, wenn eine zusätzliche Indikation für den Einsatz von Trizyklika besteht. Dies ist zum Beispiel bei komorbider diabetischer Neuropathie und damit assoziierten Schmerzsyndromen in der klinischen Praxis häufiger der Fall (15).
Die Stimmungsstabilisierer Carbamazepin, Lithium und Valproat können das Gewicht ebenfalls steigern (14). Beispielsweise erhöhte Valproat in einer Studie das Körpergewicht durchschnittlich um 5,8kg über 32 Wochen (16).
Neben Carbamazepin und Valproat gehören Gabapentin und Pregabalin zu den Antikonvulsiva, deren Einnahme häufig mit einer Gewichtssteigerung vergesellschaftet ist (17, 18).
Glucocorticoide/Immunsuppressiva
Glucocorticoide fördern die hepatische Glucoseproduktion und -freisetzung. Gleichzeitig entwickelt sich im peripheren Gewebe eine verminderte Insulinsensivität (19). Bei Patienten ohne bekannten Diabetes besteht ein 1,4- bis 2,3-faches Risiko, dass sich durch die Steroidtherapie eine diabetische Stoffwechsellage entwickelt (20). Bei der Diagnose einer Glucocorticoid-induzierten Hyperglykämie ist die Pharmakodynamik der Steroide zu beachten. Bei der üblichen Einmalgabe von Prednisolon am Morgen sind die morgendlichen Nüchternblutzuckerwerte typischerweise normal. Eine diabetische Stoffwechsellage unter der Steroidtherapie lässt sich zuverlässiger mit postprandialen Blutzuckermessungen detektieren, vorzugsweise zwei Stunden nach dem Mittagessen. In dieser Zeit erreicht Prednisolon sein Wirkmaximum. Bei mehrtäglicher Einnahme und bei Verwendung länger wirksamer Corticoide ist ein Blutzuckertagesprofil notwendig (19).
Nach Organtransplantationen tritt ein Diabetes mellitus relativ häufig neu auf. Er wird als Posttransplantationsdiabetes mellitus (PTDM) oder „New-onset-Diabetes“ nach Organtransplantation (NODAT) bezeichnet (21).
Die Calcineurin-Inhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus haben diabetogene Eigenschaften. Die diabetogenen Wirkungen sind multifaktoriell. Beide Substanzen wirken dosisabhängig toxisch auf die Beta-Zellen und reduzieren die Insulinsynthese und -sekretion (21).
Während von Mycophenolatmofetil keine diabetogenen Wirkungen bekannt sind, senkt der mTOR-Inhibitor Sirolimus die glucoseabhängige Insulinsekretion (21)
Auch bei der Diagnose eines Posttransplantantionsdiabetes ist das alleinige Messen des morgendlichen Nüchternblutzuckerwertes nicht ausreichend. Ein steroidhaltiges Immunsuppressionsprotokoll erhöht das Risiko für ein Posttransplantantionsdiabetes. Es werden regelmäßige 5- bis 7-Punkte-Profile und der orale Glucosetoleranztest oGTT empfohlen (21).
Antiretrovirale Arzneimittel
Eine antiretrovirale Therapie bei Patienten mit einer HIV-Infektion wird in der Regel nur als Kombinationstherapie durchgeführt, da die Gabe von Einzelsubstanzen rasch zur Resistenzbildung führt (22). Empfohlene Kombinationsregime enthalten unter anderem Arzneimittel aus der Gruppe der mit Ritonavir geboosterten Protease-Hemmer (PI) und nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI), die ein diabetogenes Potenzial besitzen (23). Es handelt sich dabei aber nicht um Klasseneffekte. Von den Protease-Inhibitoren werden die älteren Substanzen Indinavir, Lopinavir und Ritonavir hochdosiert mit einer Glucosetoleranzstörung durch Hemmung des Glucosetransporters GLUT4 verantwortlich gemacht. GLUT4 ist wichtig für die Aufnahme von Glucose aus dem Blut in das periphere Gewebe. Von diesen drei Substanzen wird Indinavir nicht mehr als Protease-Inhibitor empfohlen und Ritonavir nur noch zur Boosterung in niedriger Dosierung (24).
Von den NRTI-Virusstatika können die Thymidin-Analoga Didanosin, Stavudin und Zidovudin eine Glucosetoleranzstörung verursachen. Sie wirken toxisch auf die mitochondriale DNA-Polymerase in Muskel- und Fettgewebe. Die damit eingehende Fettverteilungsstörung (Lipodystrophie) fördert die Insulinresistenz (25).
Statine
Eine Statintherapie erhöht das Risiko der Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 2. Als möglicher Mechanismus wird eine Verschlechterung der Insulinresistenz durch Hemmung von GLUT4 und erniedrigte Adiponectin-Spiegel angenommen. Zudem reduzieren lipophile Statine wie Simvastatin verglichen mit dem hydrophilen CSE-Hemmer Pravastatin die Insulinsekretion und eine Statin-induzierte mitochondriale Fehlfunktion der Skelettmuskulatur wird als potenzielle Ursachen diskutiert (26). Studien und Metaanalysen haben gezeigt, dass das Diabetesrisiko bei hochdosierter Statintherapie insbesondere bei älteren Patienten größer ist als bei niedriger Dosierung (27, 28).
Da weder HbA1c-Messung noch der orale Glucosetoleranztest zur Diagnose herangezogen wurden, scheint die Diabetesinzidenz womöglich unterschätzt. Unter Berücksichtigung dieser Diagnosemethoden war in einer jüngst veröffentlichten Studie das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus um 46Prozent erhöht (Hazard Ratio der beiden am häufigsten verordneten CSE-Hemmer: Simvastatin 1,49 und für Atorvastatin 1,21).
Andere Statine waren nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden, allerdings war die Patientenzahl zu klein, um die Effekte der Einzelpräparate abzuschätzen (29).
DOI: 10.3238/PersDia.2016.04.29.03
Holger Petri
Zentral-Apotheke der Wicker Kliniken, Bad Wildungen
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
@Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1716